Tomaten, überall Tomaten — Besuch im Gewächshaus in Almería

Die Leute nennen die Gegend das „Plastikmeer“. Auf Satellitenbildern sieht es weiß aus, als läge Schnee. Wenn man weiter vergrößert, erscheint eine Mosaikstruktur aus vielen kleinen Rechtecken. In den Gewächshäusern hier im Süden Spaniens bei Almería werden Obst und Gemüse angebaut. Normalerweise bleibt alles hinter den undurchsichtigen Folien verborgen. Doch ein Betrieb öffnet seine Tore für Besucher — und wir haben hineingeschaut (Fotogalerie am Ende des Beitrags).

Die Familie, deren Gewächshäuser wir besuchen dürfen, baut schon in der dritten Generation an, im Moment Tomaten und Paprika, viele verschiedene Sorten. Lola, die uns alles zeigt, hat schon als kleines Mädchen im Gewächshaus der Eltern ausgeholfen. Damals gehörten sie zu den ersten, die ihre Pflanzen mit Plastikfolie vor dem unablässigen Wind schützten, der an der Küste weht.

Die Folien sicherten die Ernte

Wenn Lola über ihre Pflanzen spricht, ahmt sie sie nach. Sich schüttelnd zeigt sie, wie diese früher vom Wind gebeutelt wurden, oftmals bis die Früchte platzten und abfielen. Während sie redet, stehen wir im warmen, ruhigen Gewächshaus. Die Tomatenpflanzen wachsen hier in sauberen Reihen nebeneinander, die reifen Tomaten hängen glatt und perfekt daran herunter.

Der Wind, der draußen die Folien flattern lässt, berührt uns nicht. Nur durch die geöffneten Dachluken weit über unseren Köpfen drückt er frische Luft herein. Das Kohlendioxid darin wird bei der Photosynthese benötigt und ist unerlässlich für das Wachstum. Windstille mögen die Anbauer daher gar nicht, weil sich dann die Luft in den Gewächshäusern nicht genügend austauscht.  

Der Wind beschädigte früher nicht nur die Pflanzen unter freiem Himmel, wie Lola auf Englisch erzählt. Auch die fruchtbare Erde, die extra mühselig mit Hilfe von Eseln aus den Bergen herangekarrt werden musste, trug er davon. Ein paar findige Anbauer kamen so auf die Idee, Gewächshäuser aus Plastikfolie zu errichten. Die Folie brachte ihnen viele Vorteile und setzte sich in der Gegend schnell durch.

Aber sie hat auch Nachteile. Etwa alle drei Jahre, so Lola, müssen die Gewächshäuser neu bezogen werden. Dann verliert die Folie langsam ihre guten Eigenschaften und wird spröde. Auf dem Weg zur Besichtigung sind wir lange durch das Plastikmeer gefahren und haben die Folien gesehen, die oft herrenlos in Fetzen in den Büschen hängen oder an den Gerippen ausgestorbener Gewächshäuser flattern. Der Großteil wird recycelt, betont Lola. 

Wenn sie erzählt, wie skeptisch selbst die Spanier die Gewächshäuser sehen, wird ihre Stimme lauter und Wut mischt sich hinein. Sie verteidigt ihre Kollegen, die hier mehr als 30.000 Hektar unter Folie bewirtschaften. Die allermeisten haben ein bis zwei Hektar so wie sie. Es sind Kleinbetriebe oder Familien mit nur einer Handvoll Mitarbeitern, die sich so ernähren. 

Die Gewächshäuser in Almería, führt sie an, müssen nicht beheizt werden, weil es in der Gegend nie kälter als sieben Grad wird. Auch ist die Bewässerung in den meisten Gewächshäusern längst auf Tröpfchenbewässerung umgestellt, was den Verbrauch erheblich senkt. In Lolas Gewächshäusern mischt ein Computer immer die ideale Menge an Frischwasser mit aufbereitetem Meerwasser und dem überschüssigen Restwasser, das von den Pflanzen wieder zurückgeleitet wird. 

Keine Bauernhof-Romantik, sondern industrielle Effizienz

„Das hier ist kein romantischer Bauernhof, sondern ein Industriebetrieb“, sagt sie. Effizienz steht im Vordergrund. Die Tomatenpflanzen werden in einem ausgeklügelten System an Drähten und Rankhilfen entlanggeführt, so dass die reifen Früchte leicht abgeerntet werden können. Dafür gibt es spezielle Wagen, die auf Schienen durch die Reihen fahren und auf denen die Mitarbeiter bis in zwei Metern Höhe stehen und pflücken können. 

Die Pflanzen selbst wachsen platzsparend in Kübeln mit Kokoserde. Das ist aber nicht überall so. Wir dürfen bei der Führung auch in ein benachbartes Gewächshaus schauen, das nicht Lola betreibt. Hier wachsen die Pflanzen in herkömmlicher Erde, die mit einer Schicht aus grobem Sand bedeckt ist, damit sie nicht zu viel Feuchtigkeit verliert. Auch die Tomatenpflanzen sind hier anders befestigt, die Tomaten hängen in Massen über unseren Köpfen wie in einem Tunnel. 

Um zu demonstrieren, was die „traditionelle“ Anbauweise für Nachteile hat, öffnet Lola eins der Belüftungsfenster im Dach. Hier, bei ihrem Nachbarn, muss sie dafür mühsam eine uralte, quietschende Kurbel betätigen. In ihrem eigenen Gewächshaus ist auch das computergesteuert. 

Für uns als Verbraucher ist aber noch ein ganz anderer Punkt wichtig — und Lola erzählt uns gerne alles darüber: Die Bekämpfung von Schädlingen. Früher, sagt die 61-Jährige, haben die Anbauer ihre Pflanzen mit Pestiziden besprüht. In den Gewächshäusern stank es nach Chemie.

Doch der Fortschritt machte auch davor nicht Halt. Inzwischen, so sagt sie stolz, käme niemand mehr auf die Idee Gifte zu versprühen. Stattdessen leben in den Gewächshäusern speziell dafür gezüchtete Nützlinge, die sich die schädlichen Insekten einverleiben. In Kunststoffflaschen oder Pappkisten werden sie angeliefert und dann in kleinen Schächtelchen überall in die Zweige der Pflanzen gehängt. Von dort aus beziehen die kleinen Spinnen, Fliegen oder Hummeln ihr neues Zuhause im Gewächshaus und nehmen die Arbeit auf.

Genuss frisch vom Strauch

Unsere Kinder sehen sich mit großen Augen die verschiedenen Insekten an, die Lola aus ihren Dosen und Flaschen hervorholt. Noch mehr interessieren sie sich aber für die Tomaten und Paprikas, die wir bald verkosten dürfen. Noch im Gewächshaus bedienen wir uns an den Sträuchern, testen unterschiedliche Sorten. Saftig und süß, würzig und leicht scharf, säuerlich — es ist alles dabei.

Lola pflückt mit beiden Händen und verteilt die Ernte an die Besucher, die gerne zugreifen. Und zugegeben, es schmeckt köstlich, selbst für mich, die ich Tomaten sonst am liebsten in der Soße esse. „Aber warum schmecken die Tomaten so fad, wenn ihr sie im Supermarkt in Deutschland kauft?“, fragt Lola, und beantwortet die Frage gleich selbst: „Weil sie dann vielleicht schon zwei Wochen in der Kühlung gelegen haben. Aus Spekulationsgründen werden sie nicht immer sofort verkauft.“ 

Im Anschluss an die Führung bekommen wir noch ein kleines Buffet mit aufgeschnittenem Gemüse und Erzeugnissen wie Aufstrich geboten. Danach machen wir uns auf den Weg zurück zum Campingplatz, die Bäuche voll mit Tomaten und Paprika. Rechts und links der schmalen Straßen schimmern die Folien im Abendlicht. Es dauert lange, bis wir den Campingplatz erreichen. Das Plastikmeer ist dort jedoch nicht zu Ende. Erst am nächsten Tag lassen wir es hinter uns. Aber ich denke wir werden uns gerne daran erinnern, wenn wir im Supermarkt vor dem Regal stehen und Tomaten aus Spanien in der Hand haben. Vielleicht kommen sie genau von hier.

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