Kiruna, die todgeweihte Stadt?

Blick auf Kiruna in Schweden, im Vordergrund Plattenbauten, dahinter die Abraumhalde des Bergwerks.

Ich glaube, ich habe noch nie in so kurzer Zeit so viele verschiedene Länder besucht wie in den letzten Tagen. Im Norden Skandinaviens rücken Norwegen, Schweden und Finnland zusammen. Wir haben diesen Umstand genutzt, um uns die schwedische Bergbaustadt Kiruna anzusehen und auch einen Abstecher nach Finnland zu machen.

Der Weg durch schwedisch Lappland sieht immer gleich aus: eine lange, gerade Straße, die von Wald gesäumt wird. Je weiter nördlich, desto kleinwüchsiger die Bäume. Dazwischen öffnet sich immer wieder der Blick auf einen Fluss oder See. Weite Strecken folgt die Straße den Gleisen der Erzbahn, die zwischen den Küstenstädten Luleå (Schweden) und Narvik (Norwegen) verkehrt. Bis Kiruna wie aus dem Nichts auftaucht. Eine Stadt mitten im Nirgendwo, deren einziger Anker das gigantische Eisenerzbergwerk ist.

Die Abraumhalde des Bergwerks in Kiruna.
Abraumhalden des Bergwerks gehören zum Stadtbild.

Das Erzvorkommen ist außergewöhnlich rein und wird schon seit 1898 ausgebeutet. Erst war der Abbau als Tagebau möglich, dann ging es unter die Erde. Die gestuften Abraumberge gehören zur Stadtkulisse wie das blaue Logo des Konzerns, der die Mine betreibt, und der zu 100 Prozent dem schwedischen Staat gehört. Es prangt auf Gebäuden, auf Spielgeräten — gesponsert — und auf Bauzäunen.

Unheimliche Stimmung

Hochhäuser, vor denen Berge von Schutt liegen.
Mit dem Auto fahren wir an verlassenen Wohnvierteln vorbei, in denen sich der Schutt türmt.

Inzwischen sehen Teile der Stadt aus wie in einem Endzeitfilm. Weite grasbewachsene Brachflächen kennzeichnen die Bereiche der alten Stadt, die wegen der Aushöhlung des Erzvorkommens darunter nicht mehr sicher sind. Hier wurden die Häuser bereits vor längerer Zeit abgerissen. An anderen Stellen stapelt sich der Schutt meterhoch, während Bagger sich ihren Weg durch Wohnhäuser und Geschäfte der Altstadt graben.

Zeitgleich wird mit etwas mehr Abstand zum Bergwerk die neue Stadt errichtet. Im Zentrum steht das schicke neue Rathaus, davor der alte Glockenturm, der — wie ein Teil der Bevölkerung — umgezogen wurde. Vielen Menschen steht die Umsiedlung noch bevor. Der Konzern kauft die Grundstücke zu guten Preisen, es gibt Bauland und neue Möglichkeiten, die manche nutzen wollen, andere nicht.

Denn die Mine bohrt sich langsam, aber sicher, unter die Stadt. Um das Erz noch ein paar Jahrzehnte weiter abbauen zu können, müssen die Bewohner weichen. Was wäre die Alternative? Wir haben bei unserer kleinen Stadtrundfahrt viel darüber gesprochen. Den Bergbau einstellen? Was sonst würde die Stadt am Leben halten? Wir wissen es nicht. Und auch nicht, was mit Kiruna passieren wird, wenn die Arbeit in den Stollen eines Tages eingestellt wird.

Im Niemandsland

Von Kiruna aus sind wir durch Finnland wieder nach Norwegen gefahren. Der Weg führte lange Zeit am Grenzfluss zu Finnland entlang. Der breite, schnell fließende Fluss ist von Geröll und Sandbänken durchzogen. Die großen, rund geschliffenen Steine am Ufer erzählen von der Gewalt der Wassermassen, die die Schneeschmelze bringen muss. Dazwischen finden wir Kieferknochen eines Rentiers. 

Ein Vater steht mit zwei Kindern an einem steinigen Flussufer.
Der Fluss ist breit und fließt schnell.
Ein kleines Krabbelkind spielt auf großen Flusssteinen.
Die riesigen Steine hat der Fluss bewegt. Jetzt sind sie ein Kletterparcours für unser Kleinstes.

Die Straße führt, wie der Fluss, lange Zeit durch Nichts. Verkümmerte Birken wachsen überall. Es gibt keine Häuser, keine Infrastruktur. Neben uns, die wir auf einem Platz am Straßenrand übernachten, gibt es hier Milliarden von Stechmücken, die jeden Schritt vor das Auto verbieten (außer in der prallen Sonne). Und irgendwann ist es vorbei. Es tauchen wieder Stromleitungen auf. Die ersten Höfe und Heuballen. Dann das Meer. Wir sind wieder am Fjord.

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